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Opferrolle rückwärts

Gil Ofarim hat nun (endlich) vor Gericht gestanden, dass seine Vorwürfe gegen das Westin Hotel Leipzig und dessen Mitarbeiter erstunken und erlogen waren. In einem tränenreichen Video hatte der Unterhaltungskünstler vor gut zwei Jahren behauptet, er sei aufgefordert worden, seinen an einer Kette hängenden Davidstern abzulegen, um bedient zu werden. Somit sei er antisemitisch beleidigt worden.

Diesen Vorwurf nahmen hunderte Menschen zum Anlass, vor dem Hotel zu protestieren, die Empörung war überall groß. Doch schon damals fiel mir (und viel zu wenig anderen) etwas ganz blödes in der Berichterstattung auf – alle, wirklich alle Berichte stützten sich ausschließlich auf das Instagram-Video des B-Promis. Nirgendwo brachte irgendeine Zeitung einen Zeugen oder andere erhärtende Indizien auf den Tisch.

So schrieb ich schon damals (05.10.2021 um 22:08) bei Twitter (nun X):

Ich bin gespannt, wie sich die Sache um das #WestinLeipzig entwickelt. Irgendwie finde ich für den Vorfall immer nur Berichte, die sich ausschließlich auf das Video des Geschädigten und auf dessen eigene Angaben stützen. Erscheint nur mir das etwas dünn? Oder suche ich falsch?
Ich bin gespannt, wie sich die Sache um das #WestinLeipzig entwickelt. Irgendwie finde ich für den Vorfall immer nur Berichte, die sich ausschließlich auf das Video des Geschädigten und auf dessen eigene Angaben stützen. Erscheint nur mir das etwas dünn? Oder suche ich falsch?

Tja – und nun ist dieses Kartenhaus endgültig zusammengebrochen, nachdem schon 2022 sich die juristische Lage für Herrn Ofarim gedreht hatte und er sich plötzlich auf der Anklagebank befand. So wurde aus der Opferrolle nun die Täterrolle. Man mag von einem Bärendienst für den Kampf gegen den Antisemitismus reden, aber das trifft es nur halb. Dass hunderte von Menschen vor Ort, abertausende in den vermeintlich sozialen Medien und unzählige echte Medien auf diesen dünn untermauerten „Vorfall“ angesprungen sind, sollte uns allen zu denken geben. Die dahintersteckende Empörungskultur ist ein Geschwür in unserer Gesellschaft, die sich mit empörenden Medien entziehen sich ihrer Verantwortung zur sachlichen Berichterstattung und stimmen ins Geheul mit ein und ignorieren damit die Faktenlage. Schnelle Klicks und Einschaltquoten sind halt wichtiger als sachlicher Journalismus.

Etwas mehr Entspannung auch bei sehr sensiblen Themen täte uns allen gut und hätte im konkreten Fall deutlich weniger verbrannte Erde hinterlassen. Aber das ist ja auch nicht in jedermanns Sinne.

Quote mit dem Trauma

Leider kommt man in diesen Stunden und Tagen nicht um die Berichterstattung zum Drama im Liebestunnel um die Loveparade herum. Sicherlich sind die Umstände dieses Unglücks ungeheuerlich, der Umgang der Veranstalter und Behörden nahezu skandalös.

Aber was mich viel mehr wundert: jeder Fernsehsender, ja sogar die Lokalzeitungen, finden irgendwelche Menschen, die als "Augenzeugen" des Dramas präsentiert werden. Dabei gibt es zwei Kategorien: da sind die Wichtigtuer, die sich zufällig im Großraum Duisburg aufgehalten haben und nun endlich mal ins Fernsehen wollen. Solange es halt Freier gibt, wird es auch Huren geben.
Und dann gibt es da diejenigen, denen man auch über das Fernsehen den Schock über die tragischen Ereignisse ansieht. Letztere vor die Kamera zu holen, finde ich schlimm. Da werden schockierte, psychisch sehr angeschlagene Menschen vor die Kamera gestellt, ihnen ein Mikrofon vor den Mund gehalten, um dann mit stammelnden, verzweifelten Menschen Quote zu machen. Das hat nichts mehr mit Information der Menschen zu tun, das ist nur noch zynisch.

So gut die Berichterstattung vielerorts ist, überall machen die Sender und Zeitungen Quote mit dem Schicksal von schwer traumatisierten Menschen gemacht. Das kotzt mich an.

Vier oder fünf?!

Man muss ja nicht zählen können..

Top4 mit fünf Einträgen

gefunden bei Sport-Bild

Nüchtern betrachtet

So langsam klingt der Wahnsinn der vergangenen Wochen ja langsam ab und vielleicht kann man den Selbstmord des Robert Enke mal etwas nüchterner betrachten.

Da bringt sich ein 32-jähriger Mann durch einen Sprung vor einen heranrasenden Zug um. De facto bringen sich in Deutschland jährlich über 9000 Menschen um, d.h. täglich scheiden ungefähr 25 Menschen freiwillig aus dem Leben. Davon werfen sich ein bis zwei Menschen vor einen Zug. Die Altersgruppe, der Herr Enke und ich angehören, neigt zwar statistisch weniger zum Suizid, aber auch Männer zwischen 30 und 35 bringen sich jährlich in merklichen Zahlen um. Kurzum: faktisch war die Tat nichts besonderes, so bitter das klingen mag.

Jetzt muss man auch festhalten, dass Herr Enke zwar ein guter Sportler war, aber auch nicht viel mehr. Er war kein Weltklassespieler, dazu fehlten in seiner Vita entscheidende Erfolge und herausragende Positionen. Das mag hart klingen, aber eine Handvoll Länderspiele und eine Stammposition bei Hannover 96 machen unterm Strich nicht viel her. Sein Talent ist unbestritten, es wurde aber leider nicht in besonderen Erfolg umgemünzt. Wie eingangs geschrieben: nüchtern betrachtet.

Zehntausende Menschen haben in den vergangenen Tagen von Robert Enke Abschied genommen, sämtliche Prominenz aus Deutschland und der Welt hat ihr Mitgefühl zum Ausdruck gebracht. Jeder Sportler und jeder Politiker wußte plötzlich etwas zum traurigen Schicksal des Kickers zu sagen. ARD und ZDF haben mit diversen Sondersendungen und Liveübertragungen auf den Selbstmord reagiert, BILD kannte tagelang nur noch ein Thema. Wer den nachfolgenden Bundesligaspieltag bzw. das Spiel der Nationalmannschaft gesehen hat, mußte sich zwangsläufig fragen, welcher große Fußballheld da von uns gegangen ist. Die mediale Präsenz der Hinterbliebenen und des Falls liessen das tragische Schicksal zweitrangig werden. Bei all dem darf man ja mal ganz berechtigt fragen: wenn um einen 32-jährigen eher durchschnittlichen Kicker ein solches Aufhebens gemacht wird, was passiert denn erst, wenn jemand von wahrer Bedeutung plötzlich stirbt?

Die einzige Hoffnung, die man haben könnte, ist die Chance auf einen veränderten Umgang mit der auslösenden Krankheit. Depressionen werden gesellschaftlich nicht als Krankheit, sondern als Schwäche wahrgenommen, was es den Betroffenen schwer macht, ihre Krankheit zu offenbaren und sich in Behandlung zu begeben. Inwieweit der Fall Enke, der als Fußballprofi (zu Recht) in einer außergewöhnlichen Drucksituation war, sich auf die große Masse der Kranken übertragbar ist, kann ich nicht abschätzen. Aber ich bin mir sicher, dass die vielen warmen Worte von Theo Zwanziger und Konsorten vielleicht gut gemeint sind, schlußendlich aber zu keinerlei echten Konsequenzen führen werden. Was soll denn auch geschehen? Der Profifußball in seinem alltäglichen Wahnsinn läßt sich wohl kaum vom Selbstmord des Herrn Enke verändern. Zwar wurde er kurz ausgebremst, aber spätestens in zwei Wochen ist alles wieder so, wie es vor dieser Tat war. Schließlich ist mit dem Wettskandal schon das nächste Thema da.

Und in der breiten Masse? Machen wir uns nichts vor: irgendwie war es die negative Umkehrung der WM 2006. Ein schönes Massengefühl, gemeinsam mit der hübsch inszenierten Witwe zu trauern, aber mehr auch nicht. Es ging doch letztlich nur um ein emotionsgeladenes Großereignis, nach dessem Ende nur noch verklärte Erinnerungen bleiben, aber nichts wirklich dauerhaftes, schon gar nicht für die Situation der an Depression erkrankten Menschen.

Aber vielleicht ist das ganze ja auch nur zu nüchtern und zu realistisch betrachtet..

BILDblogs „Wandel“ in Zahlen

Nachdem BILDblog seine Mission neu definiert hat und sich nun als Watchblog für alle deutsche Medien versteht, hat sich viel geändert.

Halt!

Eigentlich hat sich kaum was geändert. Auf der Startseite beschäftigen sich 80% aller Artikel mit BILD, BILD am Sonntag oder BILD.de. Seit Bekanntgabe des Wechsels beschäftigten sich 35 von 54 (~65%) Artikel direkt mit BILD, wobei lediglich anfänglich vermehrt auf andere Medienprodukte geschaut wurde. Inzwischen ergänzen diese "Anderen" nur noch das Angebot, zuletzt war die "BILD-Quote" bei 70% und höher. Wechsel sieht anders aus.

Dies soll kein BILDblog-Bashing sein, sondern lediglich die Feststellung, dass nicht nur Klinsmanns Visionen und Wandelabsichten gescheitert sind. Lesenswert bleibt BILDblog allemal.

BILD ist unserer Zeit voraus

Die BILD ist unserer Zeit mal wieder etwas voraus. Erst im Januar möchte Lance Armstrong mal wieder ein Fahrradrennen bestreiten, doch BILD sieht das Comeback schon in diesem Jahr.

In diesem Jahr

Wann auch immer: ich kann auf die Rückkehr von Herrn Armstrong verzichten, denn mit ihm hat der Radsport noch mehr Ballast für eine dopingfreie Zukunft.

Thomas Dörflein?!

Bis gestern kannte ich Thomas Dörflein nicht. Das wird sich offenbar zumindest auf persönlicher Ebene nicht mehr ändern, denn der gute Mann ist tot.

Nun bleibt mir die Frage: was hat Thomas Dörflein in seinem Leben geleistet, dass es kein Medium in diesem Land gibt, welches nicht über sein zu frühes Ableben berichtet?

Die ernüchternde Antwort: er hat den Berliner Eisbären Knut großgezogen.

Bei allem gebotenen Respekt vor der Leistung des verstorbenen Tierpflegers: ich konnte die Knut-Manie nicht ausstehen. Der Kult um seinen nun toten Pflegevater weckt nun unangenehme Erinnerungen an die Zeit, als halb Deutschland scheinbar kein besseres Thema hatte als diesen blöden Fellknäuel, der lediglich als Gelddruckmaschine mißbraucht wurde.

Hoffentlich führt das unverhoffte Ableben des Herrn Dörflein nicht zu einer Wiederauferstehung des damaligen Hypes.

Quellenänderung

Eine interessante Entwicklung hörte ich gerade im Radio:

Eine halbe Stunde, nachdem eine Nachricht mit der Quellenangabe "laut Medienberichten" vorgetragen wurde, änderte sich diese Quelle in "laut Meinung von Experten".

Schlägerbande?!

Deutschlands bester Reserve-Torwart steht unter dem Verdacht, einen Fotoreporter tätlich angegriffen zu haben. Dr. Theo Zwanziger, seines Zeichens DFB-Präsident, kann sich das nicht vorstellen, da er Jens Lehmann für einen "charakterfesten Menschen" hält.

Naja, hoffentlich nimmt Herr Zwanziger die Überschrift der BILD zu dieser Unterstützung nicht zu wörtlich:

Auf anderem Gebiet erfolgreich

Eine gewisse Ashley Alexandra Dupré erlangt momentan ein wenig C-Prominenz, indem sie ihre Arbeit macht bzw. gemacht hat. Pikanterweise arbeitete die gute Frau nicht als Schuhverkäuferin, sondern als Edel-Callgirl. Das ist nicht weiter verwerflich, aber da auch der inzwischen ehemalige Gouverneur von New York zu ihren Kunden gehörte, durfte Frau Dupré nun ein wenig Medienrummel geniessen.

Das wäre eigentlich nicht berichtenswert, wenn nicht Frau Dupré über Fernsehauftritte und Coverstories hinaus auf einem völlig anderen Gebiet erfolgreich würde. So verkauft sich ihre Musik plötzlich wie warme Semmeln, einzig, weil sich viele Leute für die Edelhure interessieren. Das scheint mir eine interessante Form von Cross-Promotion zu sein. Oder wie heißt der Fachausdruck für dieses Phänomen?

Ich glaube, ich muss auch mal einen Skandal verursachen. Vielleicht hört dann mal jemand meine Musik..