Ein in diesen Tagen hört man im Zusammenhang mit dem umstrittenen Großprojekt "Stuttgart 21" als Argument der Befürworter, vornehmlich aus Reihen der Landesregierung, dieses Projekt sei demokratisch legimiert. Und trotzdem steht das Volk, von dem ja alle Gewalt ausgehen soll, auf der Straße und protestiert gegen dieses sehr teure Großprojekt.
Und da stößt die Geschichte von der politschen Legitimation an ihre Grenzen. Im Oktober 2006 hat der Landtag von Baden-Württemberg dem Projekt zugestimmt. Der Landtag wurde im März desselben Jahres bei einer katastrophalen Wahlbeteiligung von 53,4% gewählt. Da kommt man schnell dahin, dass dieses Großprojekt zwar die Mehrheit der Wähler, aber nicht des Volkes parlamentarisch hinter sich gebracht hat. Das mag man als Politiker, dessen Daseinsberechtigung davon abhängt, für legitim halten, auf Dauer ist dies aber Regieren gegen eine Mehrheit der Menschen.
Stuttgart 21 zeigt einmal mehr das große Dillemma unserer politischen Struktur. Bei immer tiefergreifenden und kontroverseren Entscheidungen ist Volkes Wille nur sehr indirekt vertreten. Irgendwann haben wir mal eine Legislative gewählt, die aus ihrer Mitte eine Exekutive wählt. Zu allem Überfluß wählt unsere Legislative auch die Judikative, so dass wir zwar indirekt irgendwie alle gewählt haben, aber auch genug Raum für mafiöse Strukturen, Vetternwirtschaft und Klüngel bleibt. Schließlich sind personelle Überschneidungen, Wechselwirkungen über Parteizugehörigkeit und Machtstreben einzelner Menschen das Ergebnis dieses ziemlich geschlossenen Systems. Letztlich hängt an der eigenen Stimme derart viel an Folgeentscheidungen bzw. folgeschweren Entscheidungen, dass es nur schwer auszumachen ist, welche Partei das eigene Kreuz bekommen soll, zumal viele Entwicklungen ja auch nicht absehbar sind. Und da halte ich es für mehr als nur legitim, wenn Entscheidungen von gewissen Größenordnungen einen anderen Weg der Legitimation nehmen. Ich halte die Forderung nach Volksentscheidungen prinzipiell für sehr vernünftig. Ich glaube, dass viele politische Projekte eine deutlich höhere Akzeptanz fänden, würde die Politikerkaste diese zur direkten Abstimmung ans Volk geben.
Wir sehen bei immer mehr Entscheidungen, dass der Wille derer, die eine Partei gewählt haben, sich nicht mit den Handlungen der Parteien deckt. Genau aus diesem Grund versinkt die SPD in der Bedeutungslosigkeit, während die FDP wahrscheinlich viele Kerzen anzündet, dass die nächsten Wahlen noch so weit weg sind. Sicherlich wäre nicht über jedes Vorhaben, das diese beiden Parteien in den Umfragekeller geworfen hat, berechtigt gewesen, aber man darf sich schon fragen, ob die Gesellschaft den Hartz-Reformen in ihrer umgesetzten Form zugestimmt hätte. Auch Fragen wie der Kriegseinsatz deutscher Soldaten im fernen Ausland sind sicherlich Entscheidungen, an denen ein mündiges Volk beteiligt werden sollte, anstatt aus einem Kreuzchen, das auch irgendwie eine Kompromisentscheidung bei vielen Wählern ist, eine indirekte Legitimation für Entscheidungen größter Tragweite abzuleiten. In einer immer komplexer werdenden Welt, in der dem einzelnen Menschen immer mehr Eigenverantwortung überlassen wird, dürfen die grundlegenden Entscheidungen, wie sich unsere Gesellschaft entwickeln möchte, nicht derart simpel gefällt werden. Ich will Stuttgart 21 nicht zur richtungsweisenden Entscheidung für das Wohl unserer Gesellschaft erheben, aber es ist ein Symbol für die immer größer werdende Kluft zwischen Politik und Volk und ein Beispiel für die Probleme unser politischen Realität.
Ja, Stuttgart 21 hat formal alle Legitimationshürden genommen, die per Gesetz vorgesehen sind. Das Projekt wurde von einem gewählten Parlament bestätigt, von Richtern, die das Parlament gewählt hat, abgenickt und wird nun von einer Regierung, die das Parlament gewählt hat, durchgeführt (gemeinsam mit einem Quasi-Staatsunternehmen). Aber ob das im tiefsten Sinne demokratisch im Sinne des gesamten Volkes ist, weiß ich nicht. Denn das wurde nicht gehört.