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Westerwelle hat sich verpokert

Unser Bundesaußenminister Westerwelle hat hoch gepokert: als er im März eine Enthaltung im Libyen-Konflikt im UN-Sicherheitsrat vertrat, versuchte er offensichtlich, sein eigenes Profil zu schärfen. So dumm war die Idee ja gar nicht: Gerhard Schröder hat mit seinem „Nein“ zum Irak-Krieg innenpolitisch gewonnen, warum sollte das also nicht für Westerwelle und seine FDP funktionieren?

Gut, eigentlich ist die Antwort darauf sehr einfach: während Schröder sich in dieser Frage mit seinem Koalitionspartner einig wußte, konnte Westerwelle sich nicht einmal der Unterstützung seiner Partei sicher sein, geschweige denn der des Koalitionspartners. Und so kam es, wie es kommen musste: Westerwelle mußte herbe Kritik einstecken, einzig die Schande der Ablösung durch seine Partei konnte er im Hinterzimmer noch abwenden. Und so bleibt er als Außenminister auf Abruf uns noch einige Zeit zur allgemeinen Belustigung erhalten.

Trotzdem ist es eine gewisse Ironie des Schicksals, dass Westerwelle mit einem eigentlich richtigen Schritt seine politische Karriere wahrscheinlich kaputt gemacht hat. Die letzten Wochen und Monate haben einmal mehr gezeigt, auf welch schmalen Pfaden die internationale Gemeinschaft unterwegs ist. Hieß es ursprünglich noch, man wolle durch Lufteinsätze die Zivilbevölkerung schützen, so bekam ich immer mehr den Eindruck, es ginge nur noch um den Sturz des Gaddafi-Clans. Tausende von Einsätzen wurden über Libyen geflogen, die Rebellen wurde dabei aktiv unterstützt, das kann ja auch nur bedingt der Sinn der Übung sein. Die Beispiele Irak oder Afghanistan zeigen uns doch, dass ein vom Westen auferzwungener Wechsel die Situation nicht verbessert. Im Gegenteil: es muss von den eingreifenden Parteien (und ihren Partnern) erheblicher Aufwand betrieben werden, den geschaffenen Status zu erhalten. Und im Fall von Libyen sieht es ja nun so aus, als müsste der Wechsel im wahrsten Sinne des Wortes teuer bezahlt werden. Daher kann ich es gut verstehen, wenn man einem solchen Krieg nicht zustimmen möchte.

Der schönste Vorwurf, den sich Westerwelle anhören durfte, war die Anfeindung, dass durch seine Enthaltung die deutsche Außenpolitik weniger verläßlich und berechenbar würde. Wenn man das auf die Goldwaage legen möchte, müßte man feststellen, dass man dann sogar mit „Nein“ hätte stimmen müssen. Denn schließlich hat auch die deutsche Politik über vier Jahrzehnte lang gerne mit Gaddafi Geschäfte gemacht hat. Diese lange, stabile und verläßliche Partnerschaft hätte man durch Zustimmung aufs Spiel gesetzt – wie es eben Frankreich, die USA und Co. gemacht haben.

Ich bin kein großer Freund von Herrn Westerwelle oder seiner Lobbypolitik, aber die Prügel, die er in den letzten Monaten kassiert hat, hat er nun wahrlich nicht verdient. Er hat doch einfach nur zu hoch gepokert.

Absehbar – Teil 2 (oder 4187)

Leider war das genauso absehbar wie die Reaktionen auf Amy Winehouses Tod – nach den furchtbaren Anschlägen in Norwegen wagen sich wieder die Feinde der Freiheit unter dem Deckmantel der vermeintlichen Sicherheit aus ihren Löchern und fordern eine Ausweitung des Überwachungsstaats. Voran getragen wird die Vorratsdatenspeicherung, die eigentlich schon ausgestanden schien. Aber auch das Denunziantentum im Sinne der Stasi scheint plötzlich wieder salonfähig.

Es ist eigentlich immer dasselbe Schema: unabhängig vom tatsächlichen Ablauf einer schlimmen Tat stellen sich Unionspolitiker hin und sinnieren darüber, dass eine Vorratsdatenspeicherung und eine Gefährderdatei dieses Unglück verhindert hätten. Denn natürlich ist grundsätzlich die vermeintliche Anonymität des Internets Schuld an dieser bösen Tat. Wenn notwendig, werden auch gerne Computerspiele als böses Medium verunglimpft. Das System ist eigentlich ganz einfach: auch wenn die Mehrheit der Deutschen die Gefahr sieht und den Maßnahmen nichts abgewinnen kann, wird versucht, durch stete Wiederholung den Widerstand zu zermürben. Irgendwie wird man dieses ganze Computergedöns ja wohl kontrollieren können. Zum Glück hat das noch nicht geklappt.

Im konkreten Fall ist nicht nur die Instrumentalisierung dieses schrecklichen Verbrechens pervers, die übliche Argumentation scheint im Angesicht der bekannten Fakten zu versagen. Offenbar hat der Täter in Norwegen zwar kurz vor seiner Tat Aktivität im Internet entwickelt, die eigentliche Vorbereitung seiner Taten geschah aber offline. Und die Vorratsdatenspeicherung hat in Norwegen auch keine Wirkung gezeigt.

Aber an Fakten haben sich die Feinde der Freiheit ja noch nie gestört.

Demokratische Anwandlung

Eigentlich hat sich die parlamentarische Demokratie von ihrer starken Seite gezeigt, als die Abgeordneten frei von allen Zwängen über die Prä-Implantationsdiagnostik diskutierten und abstimmten. So stellt man sich als Demokrat die Demokratie vor. Unabhängig von Parteibuch oder Religion wird ein Thema kontrovers diskutiert, es findet sich eine Mehrheit für einen Vorschlag und am Ende steht ein neues Gesetz. Auf diese Weise sollten Entscheidungen in einer Demokratie fallen.

Der Alltag im Parlament sieht leider anders aus. Bei fast allen Entscheidungen herrscht Fraktionszwang, d.h. der Abgeordnete hat so abzustimmen, wie es Partei- und Fraktionsführung für richtig erachten. Gerade dieses Vorgehen entwertet das Parlament und den einzelnen Abgeordneten ungemein, könnte es doch im Prinzip von einer Handvoll Personen abgebildet werden. Es braucht keine 600+ Abgeordnete, wenn fast alle wie Lemminge einer vorgegebenen Stimme folgen. Dazu reicht je Fraktion eine Person. Das würde Zeit und Kosten sparen, hätte aber nur noch bedingt etwas mit unserer Demokratie und der vorangegangen Wahl zu tun.

Deshalb fand ich den parlamentarischen Umgang mit der Entscheidung zur Prä-Implantationsdiagnostik sehr erfrischend. Schade nur, dass man diese demokratische Anwandlung nicht bei den wirklich wichtigen Themen dieser Zeit hat..

Griechenland vs. FDP

Zwei große Themen beschäftigen momentan die Haushalts- und Finanzexperten in Wirtschaft und Politik – Griechenland und Steuersenkungen.

Die drohende Staatspleite Griechenlands dürfte dem deutschen Finanzminister einige schlaflose Nächte bereiten, ist Deutschland doch direkt oder indirekt mit vielen Milliarden Euro an den verschiedenen Rettungsaktionen beteiligt. Es ist offensichtlich, dass die griechischen Bemühungen um eine Haushaltskonsolidierung bei weitem nicht ausreichen, um den drohenden Bankrott abzuwenden. Viele Experten gehen davon aus, dass Griechenland seine Kredite nicht bedienen wird, so dass am Ende so oder so dem deutschen Haushalt Geld fehlt. Denn wie in sovielen Fällen heißt es auch bei den Staatsanleihen, dass die Gewinne gerne privatisiert werden, die Verluste aber von der Allgemeinheit zu tragen sind. Nicht nur die Griechenlandhilfe dürfte auf viele Jahre hinweg die deutschen Haushaltsentwürfe belasten, andere Länder werden sicherlich auch bald angezählt.

Vor diesem ernsten und ungewissen Hintergrund scheint das Thema „Steuersenkung“ geradezu unverantwortlich. Statt zumindest die gute Einnahmeseite zu nutzen, um entweder die Rettungsaktionen teilweise zu finanzieren oder den eigenen Schuldenberg abzutragen, möchte die Bundesregierung gerne 2013 die Steuern senken. 2013? Passend zum Wahljahr möchte die Kanzlerin dem Koalitionspartner einen kleinen Rettungsanker hinwerfen, auf dass Rösler und Co. sich im Wahlkampf doch noch als Steuersenkungspartei profilieren können. So wird Steuerpolitik zur Rettung der FDP betrieben.

Wenn ich die Wahl hätte, ob mit unseren Steuern Griechenland oder die FDP gerettet werden soll, fällt mir die Wahl leicht.

Ich freue mich nicht

Die Vereinigten Staaten von Amerika haben auf pakistanischem Gebiet den vermeintlichen Top-Terroristen Osama Bin Laden exekutiert. Auf Geheiß des Präsidenten spürte eine Spezialeinheit Bin Laden auf und tötete den unbewaffneten Mann, um seinen Leichnam anschließend zu entsorgen.

Dies sind unbestrittene Fakten, doch die Reaktionen auf diese Tat haben mich schockiert. Alle Staatsoberhäupter und Regierungschefs haben sich positiv über diesen Vorgang geäußert und den Tod des Osama Bin Laden begrüßt. Unsere Bundeskanzlerin reihte sich selbstverständlich in die Reihe der Gratulanten ein.

Osama Bin Laden wurde nie der Prozess gemacht. Er wurde nie zum Tode verurteilt. Und – das legen ja nun alle Berichte nahe – er war ganz offenbar keine akute Bedrohung für irgendjemanden. Das bedeutet, es gab keine juristische Grundlage, ihn zu erschießen. Eine Festnahme, auch da stimmen alle Berichte, die ich gelesen habe, überein, war übrigens nicht geplant, obwohl sie wohl durchaus möglich gewesen wäre.

Was ist das für eine Welt, in der ein Regierungschef einfach so den Tod eines Gegners befiehlt und dafür auch noch gefeiert wird?

Ich will in keiner Weise die Taten, für die sich Osama Bin Laden als Drahtzieher bekannt hat, klein reden, aber sollte nicht auch der meistgesuchte Mann der Welt das Recht auf einen fairen Prozess haben? Unsere Demokratie basiert auf Werten und Grundrechten, die für alle Menschen gelten müssen. Dazu gehört das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ebenso wie das Recht auf einen Gerichtsprozess, an dessem Ende über Schuld oder Unschuld und eine eventuelle Strafe entschieden wird. Selbst wenn jemand (vermeintlich [oder] offensichtlich) anderen diese Grundrechte abgesprochen hat, so gewähren wir ihm diese Rechte. Und das ist gut so, denn jeder einzelne von uns möchte im Fall der Fälle die Möglichkeit haben, sich den Anschuldigungen zu stellen, bevor er eine Strafe erhält. Wenn wir der Exekutive zubilligen, sich über die Justiz hinwegzusetzen, öffnen wir die Büchse der Pandora, denn wer garantiert uns, dass es nur bei Top-Terroristen eine Liquidierung auf Regierungsbefehl gibt? Mörder, Kinderschänder, Steuersünder, Falschparker, Atomkraftgegner oder Andersdenkende – wenn die Regierungen ohne Kontrolle der Justiz Todesurteile erlassen und vollstrecken dürfen, ist niemand mehr sicher.

Wenn sich also unsere Bundeskanzlerin hinstellt und unverhohlen Freude über den von ihrem Kollegen Obama angeordneten Mord ausdrückt, ist dies nicht nur ein schockierender Beweis für das Werte- und Demokratieverständnis von Frau Merkel. Es ist vielleicht auch die Hoffnung, durch Beschönigung und Glorifizierung dieser Tat die eigenen Befugnisse zu stärken und auszuweiten. In den vergangenen Jahren wurden die Rechte der Regierung gegenüber dem Bürger schon erheblich „gestärkt“, das Bild der totalen Überwachung zeichnet sich immer mehr ab. Wenn nun der Bürger auf Grund der Beispiele Bin Laden oder vielleicht bald Gaddafi akzeptiert, dass Regierungen einfach den Befehl geben können, gezielt Menschen zu töten, lassen sich die Befugnisse der Behörden vielleicht auch in diese Richtung „entwickeln“ (eine Frage, der die Kanzlerin mäßig geschickt in der Pressekonferenz ausgewichen ist). Überwachung und Bestrafung aus einer Hand ohne den lästigen und kostenintensiven Umweg über die Gerichte – das dürfte für einige Politiker und Behörden ein Traum sein.

Natürlich – und das mag man besonders tragisch nennen – war bei der Tötung des Osama Bin Laden formaljuristisch wahrscheinlich alles  in Ordnung. Oder anders gesagt: der darf das. So richtig bewußt war mir das bis zu diesem Ereignis nicht. Und jetzt weiß ich nicht, worüber ich mehr schockiert sein soll: über die Tat selber, über die unverhohlene Freude sovieler Menschen über den Mord an einem Menschen oder über die Tatsache, dass diese Tat auch noch legal war.

Ich kann mich über den Tod von Osama Bin Laden nicht freuen. Und möchte es auch nicht.

Grüne CDU an der Spitze

Am 22. Mai wird in Bremen die Bürgerschaft gewählt. Zwar darf ich als Nordrhein-Westfale meine Stimme dort nicht abgeben, aber das hindert mich ja nicht, eine Meinung zu haben. Also habe ich den Wahl-O-Mat für die Bürgerschaftswahl angeworfen und ein überraschendes Ergebnis erhalten.

LINKE und NPD hatte ich ja unten erwartet, aber dass die Bremer CDU die größte Übereinstimmung mit meinen Ansichten hat, ist schon verwunderlich. In meinen bisherigen Erfahrungen mit dem Wahl-O-Mat hatte die schwarze Truppe zumeist einen Mittelfeldplatz errungen. Ob ich mich verändert habe?

Ein etwas genauerer Blick auf die Thesen und deren Antworten zeigt, dass die Bremer CDU sich – vielleicht dem allgemeinen Trend folgend – etwas linker und grüner gibt, als man es von der CDU erwarten würde. Ich hoffe ernsthaft, dass die CDU den momentanen links-grünen Schnellanstrich wieder aufgibt. Das Negativbeispiel SPD sollte Frau Merkel eine Warnung sein, was passiert, wenn eine Partei ihr Profil für kurzfristige Erfolge opfert.

Von daher würde ich diese hohe Übereinstimmung eher dem Profilwandel der CDU als meinen veränderten Ansichten zusprechen.

Abschied auf Raten

Guido Westerwelle verabschiedet sich scheibchenweise aus der deutschen Politik. Erst kündigt er seinen Rückzug vom FDP-Vorsitz an, einen Tag später gibt er das Amt des Vizekanzlers auf und auch als Außenminister dürfte er nicht allzu lange haltbar sein.

„Abstieg auf Raten“ scheint es für meinen Lieblingsverein zu heißen. Startete St. Pauli stark in die Rückrunde, bricht die Mannschaft in den letzten Spielen auseinander. Trotz eines zwischenzeitlich recht komfortablen Vorsprungs auf die Abstiegsränge findet man sich nun auf dem vorletzten Platz wieder. Da ist der Spielabbruch beim Schalkespiel nur das negative Sahnehäubchen..

Zwei richtige Tendenzen sowie ein Volltreffer beim Kölner Kicker sind hingegen eine weitere durchschnittliche Bilanz meiner Tipps.

Ergebnis 28.Spieltag: 5 Punkte

Vorjahresergebnisse: 5 / 4 / 2 / 8 (2009 / 2008 / 2007 / 2006)

Überrascht die SPD die Grünen?!

Die Grünen in Baden-Württemberg freuen sich gerade, haben sie doch die SPD als zweitstärkste Partei im Bundesland abgelöst und wollen nun in der ersten grün-roten Landesregierung den Ministerpräsidenten stellen.

Bei aller Euphorie sollte man an das Demokratieverständnis der SPD erinnern. Nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt vor Wochenfrist wäre die SPD laut eigener Aussage auch als schwächere Partei mit den LINKEN in eine Regierung gegangen, aber nur, wenn sie entgegen aller Gepflogenheiten den Ministerpräsidenten gestellt hätten. Das war dann selbst den LINKEN zu doof.

Wer weiß, ob die SPD die Grünen auch in Baden-Württemberg ebenso überrascht.

Ehrlichkeit

Ehrlichkeit zahlt sich aus.

Rainer Brüderle, unser geliebter Wirtschaftsminister, hat sich durch seine vielleicht etwas lockere, aber dafür umso aufrichtigeren Aussage, dass das „Atom-Memorandum“ lediglich dem Wahlkampf geschuldet sei, in die Herzen der Menschen geredet, beinahe zumindest. Dabei ist es egal, dass dieses Bekenntnis beim BDI hinter verschlossenen Türen gefallen ist oder der Minister vielleicht in einer seiner berühmten Weinlaunen war. Inzwischen hat der BDI-Geschäftsführer seinen Hut genommen und damit für die „Indiskretion“, dass das Protokoll mit den brisanten Äußerungen an die Öffentlichkeit gekommen ist, die Verantwortung übernommen. Ein klassisches Bauernopfer halt..

Und da sich aber Ehrlichkeit auszahlen sollte, sollte das deutsche Volk überlegen, welche Ehre wir dem guten Herrn Brüderle zuteil werden lassen. Man könnte z.B. die Gründung eines parteiübergreifenden Fanclubs in Betracht ziehen. Oder ihm ein Fläschchen Wein zuschicken. Wahrscheinlich freut er sich über letzteres mehr als über unsere Zuneigung.

Übrigens: BILD gehörte zu den Onlinemedien, die Herrn Brüderles Aussage ganz lange nicht als Nachricht hatten. Und als es dann nicht vermeidbar war (Spiegel Online hatte diese Nachricht stundenlang als Topnachricht auf der Startseite), war es nur ein kleiner Artikel über einen „Patzer“. Aber BILD ist ja überparteilich..

Atomkraft im Wahlkampf

Liebes Wahlvolk,

in diesen Tagen versucht die Bundespolitik unter boshafter Ausnutzung der Geschehnisse im fernen Japan Stimmung zu machen, um bei den anstehenden Landtagswahlen Kapital zu schlagen oder den Schaden zu begrenzen. Ich schreibe bewußt „Bundespolitik“, denn die Opposition steht der Regierung in Dreistigkeit und Schamlosigkeit leider in nichts nach.

Fangen wir mit dem Guten an, wenn man das etwas zynisch zu sagen möchte: die Folgen des schweren Erdbebens in Japan auf die dortigen Atomkraftanlagen haben uns sehr schön vor Augen geführt, dass diese Technologie im Fall der Fälle unkontrollierbare Risiken birgt. Dies führt zu einer Diskussion über die Zukunft der Atomkraft in unseren Breitengraden. Diese Diskussion kann man nur begrüßen, denn die Bilder aus Japan zeigen uns eindrucksvoll, dass wir diese schlimmen Konsequenzen selbst bei allergeringster Wahrscheinlichkeit hier nicht wollen.

Doch damit hören die guten Auswirkungen auf, denn plötzlich drehen Opposition und Regierung am Rad. Unter wahrscheinlich gesetzeswidrigen Umständen dreht sich die Regierung um 180 Grad und nimmt einige ältere Atomkraftwerke vom Netz, um die Sicherheit innerhalb dreier Monate zu prüfen. Es handelt sich übrigens um Atomkraftwerke, von denen die Regierung bei der Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken als „absolut sicher“ gesprochen hat. Nun aber könnte die Sicherheit unter Umständen nicht gegeben sein, wobei einige Unionspolitiker hier das Horrorszenario des Anschlags mit einem Flugzeug heranziehen.

Dagegen gibt es einiges zu sagen:

  • drei Monate werden bei siebzehn deutschen Atomkraftwerken niemals für eine unabhängige Untersuchung der Sicherheitsstandards reichen. Das Ergebnis der Untersuchungen wird also kaum ernstzunehmen sein, wahrscheinlich steht es sogar schon jetzt fest.
  • die Abschaltung der Einspeisung des erzeugten Stroms (also das „Vom-Netz-Nehmen“) ist im Falle eines Flugzeugabsturzes auf die Atomkraftanlage für den dann folgenden Super-GAU völlig unerheblich, denn alle Materialien für den Super-GAU sind weiterhin vor Ort und aktiv. Die Regierung hat „unsere“ Sicherheit durch diese Maßnahme nicht verbessert.
  • wenn man jetzt für irgendwelche Horrorszenarien Angst hat, dass die Sicherheit der Atomkraftwerke nicht ausreicht, hätte man diese Angst doch auch schon vor und bei der beschlossenen Verlängerung der Laufzeiten haben müssen. Flugzeugattentate und andere Terrormethoden kannte man ja auch damals schon. Die Gefahren mussten der Regierung also schon länger bewußt sein.

Natürlich nimmt die Regierung so den Gegnern der Atomkraft und vor allen Dingen der Opposition die Luft aus den Segeln – indem sie heiße Luft verbreitet. Diese Maßnahme ist unnötig, wirkungslos und wahrscheinlich wird sie auch noch teuer, wenn nämlich die Energiewirtschaft freundlich, aber bestimmt die finanziellen Ausfälle geltend macht, die auf Grund einer juristisch fragwürdigen Entscheidung der Regierung zustande gekommen sind.

Doch auch der Opposition muss man klar sagen, dass ihre verzweifelten Versuche, die Atomkatastrophe in Japan hier für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, unanständig und durchschaubar sind.

Sehen wir es realistisch: die Wahrscheinlichkeit, dass wir in den nächsten Tagen von Terroranschlägen oder Erdbeben heimgesucht werden, die ähnliche Ausmaße wie in Japan haben, ist äußerst gering. Ja, es ist notwendig, den gesellschaftlichen Konsens von 1998, als SPD und Grüne auch wegen ihres geplanten Atomkraftausstieg an die Macht kamen, wiederherzustellen. Dies sollte aber nicht auf Grund von künstlicher Panik innerhalb weniger Tage über das Knie gebrochen werden. Unsere Gesellschaft muss einen klaren Weg finden, wie man zukünftig Energie gewinnen möchte, die idealerweise rückstandslos und sicher gewonnen wird. Und noch besser wäre es, wenn dieser Prozess auch über die Landesgrenzen hinweg in Europa Fahrt aufnehmen würde. Sicherlich kann Deutschland dabei eine Vorreiterrolle einnehmen, was auf langer Sicht auch unserer Wirtschaft zugute kommt, aber allein können wir die Welt nicht verbessern.

Deshalb, liebes Wahlvolk, laßt euch in diesen Tagen weder von der Regierung noch von der Opposition Sand in die Augen streuen. Die Frage nach der Atomkraft ist eine wichtige, aber das ist sie nicht erst seit der Katastrophe in Japan. Sie ist spätestens seit 1986 ein unterschwelliges Dauerthema, das nun einmal aufkocht. Aber diese Frage und das Verhalten der einzelnen Parteien dazu in diesen Fragen sollte eure Wahl nicht beeinflussen. In euren jeweiligen Bundesländern stimmt ihr nicht für oder gegen die Kernkraft. Ihr wählt euer Landesparlament, das sich um Fragen wie Schulsysteme, lokale Großbauprojekte und ähnliches zu kümmern hat.

Bitte denke daran, liebes Wahlvolk, wenn du an der Urne stehst.

Dein Marcus