Die Abrupt-Stehenbleiber

Wer sie nicht kennt, ist selbst einer von ihnen.

Die Rede ist von den Abrupt-Stehenbleibern. Sie kommen überall dort vor, wo Menschen hintereinander her gehen, sei es auf Volksfesten, bei Messen oder im Supermarkt. Das Verhalten der Abrupt-Stehenbleiber ist nicht vorhersagbar, sondern passiert spontan – mitten im Lauffluß bleiben sie einfach stehen. Es mag ein plötzlicher Reiz wie eine Lautsprecherdurchsage oder ein rotes Preisschild sein, das plötzlich in das Gehirn des Abrupt-Stehenbleibers vordringt und alle motorischen Funktionen schlagartig zum Stillstand bringt. Vielleicht ist es aber auch eine sexuell übertragbare Krankheit, die anfallsartig den Bewegungsapparat blockiert. Die Möglichkeit einer genetischen Veranlagung will ich auch nicht ausschließen. Hier sollte die Forschung mal ihre Gelder einsetzen. Wer das Geheimnis der Abrupt-Stehenbleiber löst, den schlage ich persönlich für alle Nobelpreise vor.

Abrupt-Stehenbleiber sind in freier Wildbahn eine Gefahr für sich und ihre Mitmenschen. In Menschengedrängen wie z.B. in Vergnügungsparks bedeutet das abrupte Stehenbleiben lediglich, dass man auf den Abrupt-Stehenbleiber aufläuft. Es dürfte jedem klar sein, dass diverse Wadenverletzungen beim Abrupt-Stehenbleiber und blaue Flecken beim Aufläufer die Folge sein können. Doch anstatt das eigene Fehlverhalten einzusehen, schimpft der Abrupt-Stehenbleiber in der Regel auch noch den unschuldigen Aufläufer aus. "Können Sie nicht aufpassen?" ist doch die harmloseste Ablenkung von der eigenen Schuld. Scheinbar glaubt der Abrupt-Stehenbleiber, dass die aus dem Straßenverkehr bekannte Faustregel "Wer auffährt, trägt Schuld" auf beim Laufen in Menschenmengen Anwendung findet. Doch wie der geneigte Autofahrer weiß, führt plötzliches Bremsen ohne ersichtlichen Grund auf der Autobahn dazu, dass der Bremser die Schuld auf sich laden muss.

Am schlimmsten ist die Gefahr, die von den Abrupt-Stehenbleibern ausgeht, im Supermarkt. Während man bei Messen oder Volksfesten zumeist eine relativ geringe Geschwindigkeit vorgegeben bekommt, sind die Folgen des abrupten Stehenbleibens im Supermarkt immens größer. Je nach Tageszeit geht man schon etwas schneller hintereinander her, nicht selten schiebt man auch einen Einkaufswagen vor sich her. Fällt nun vor einem der Abrupt-Stehenbleiber in seine plötzliche Schockstarre, muss man all seine Lenkkünste aufwenden, um die Gesundheit des Abrupt-Stehenbleibers nicht durch einen schwunghaften Stoß mit dem Metallwagen zu gefährden. Dabei läuft das umstehende Supermarktsortiment Gefahr, durch das Ausweichmanöver ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen zu werden, so dass mit dem Supermarktbetreiber ein unbeteiligter Dritter Schaden nehmen kann. Ärgerlicherweise trägt der Abrupt-Stehenbleiber hier nicht einmal die Schuld, so dass der Ausweichende eventuellen Schaden tragen muss. So hat man neben der Gefahr für Leib und Leben auch noch zusätzlichen Ärger, sei es mit dem Abrupt-Stehenbleiber oder mit geschädigten Dritten.

Leider ist der Abrupt-Stehenbleiber nicht im Vorhinein erkennbar. Kann man im Autoverkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit Mittelspurfahrer oder Linksschleicher in zwei Bevölkerungsgruppen (Frauen oder alte Herren) einteilen, kommen Abrupt-Stehenbleiber aus allen Geschlechtern, Altersgruppen und aus sämtlichen sozialen Schichten. Zwar scheint das Abrupt-Stehenbleiben im Alter zuzunehmen, aber grundsätzlich sind auch junge Menschen und sogar Kinder betroffen.

Und im Rahmen der aktuellen Integrationsdebatte darf man immerhin freudig feststellen, dass sich unsere Mitbürger mit Migrationshintergrund als Abrupt-Stehenbleiber schon perfekt eingefügt haben. Die vermummte Türkenmutti weist dieses Phänomen ebenso auf wie die polnische Putzfrau, der jugendliche Russenmacho oder eben der urdeutsche Rentner. Zwar versteht man nicht immer die folgenden Beschimpfungen, wenn man dem Abrupt-Stehenbleiber aufgelaufen ist, aber die Inhalte scheinen kulturübergreifend sehr ähnlich zu sein.

Da von den Abrupt-Stehenbleibern Gefahr für Leib, Leben und Nerven ausgeht, schlage ich vor, dass jeder bisher gesunde Bürger über 18 etwa zehn Aufkleber mit sich führt, auf denen "Vorsicht! Ich bleibe abrupt stehen." mit sich führt. Sobald er einen Abrupt-Stehenbleiber identifiziert, wird diesem ein Aufkleber auf den Rücken geklebt und der Abrupt-Stehenbleiber muss seinem Entdecker seine Aufkleber abtreten. Fortan muss der erkannte Abrupt-Stehenbleiber den Aufkleber immer am Rücken befestigen, so dass andere Menschen gewarnt sind. Erst wenn der Aufkleberträger selber Opfer eines noch nicht identifizierten Abrupt-Stehenbleibers wird, darf er seinen Aufkleber diesem geben und gilt vorerst als geheilt.

Da dieses System dafür sorgt, dass der Regierung kaum Kosten entstehen, könnte sie das so nicht ausgegebene Geld – man bedenke, welche Gesundheitskosten unentdeckte Abrupt-Stehenbleiber nach sich ziehen – in die Erforschung dieses Phänomens investieren.

Vielleicht erleben so meine Kinder eine Welt ohne Abrupt-Stehenbleiber.

Comments (1)

  1. 19:48, 24. Oktober 2010Stephan R. Seidel  / Antworten

    Oh ja, wie ich diese Spezies „liebe“. Es ist immer wieder ein großes Ärgernis, wenn die Fraktion ohne ersichtlichen Grund stehen bleibt und diese beinahe über den Haufen renne und mir dann noch anhören muss, ob ich das denn nicht sehe und aufpassen könne. Ich stelle mir auch immer wieder die selbe Frage, warum so viele solch unnötige Aktionen bringen. Ich begegne diese gerne mit einem lauten „Achtung“ und schon hüpfen sie gerne zur Seite und schauen einen sehr verwundert an 🙂

    Auf der Straße scheint diese Spezies in meinem Umfeld eher seltener vorkzuommen, vielleicht liegt es daran, dass es hier überwiegend „Schleicher“ gibt, die eine Abneigung zum Gaspedal haben oder zur Gattung Abrupter-Spurwechsel gehören.

    Wir müssen wohl damit leben und es ist doch genau diese Artenvielfalt, die unseren Planeten so einzigartig und liebenswert macht 🙂

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